Ich bin größer geworden, zwar nicht wirklich groß, aber laut meines Alters zähle ich zu den Erwachsenen.
Erwachsen sein hat nichts mit dem Alter zu tun.
Wann ist man denn wirklich erwachsen?
Es gibt Menschen höheren Alters, die heute noch die größten Kinder sind!
Erwachsen sein hat etwas mit den Erfahrungen zu tun.
Den Erfahrungen im Leben – vor allem den negativen.
Genau deshalb sind die meisten besonderen Menschen schneller erwachsen.
Weil sie es müssen.
Als Kleinkind verstehst du das alles glaube ich noch nicht so wirklich.
Ich kann mich ehrlich gesagt, an meine Wünsche und Gefühle nicht bewusst erinnern.
Nur an eine Situation, die ist mir im kleinsten Detail in Erinnerung geblieben:
Meine ersten Schritte.
Alleine. Ohne Hilfsmittel.
Den Applaus der anderen Kinder.
Und das Glücksgefühl. Das Kribbeln im Bauch. Den Wunsch laut los zu lachen.
Ich war 5 und unglaublich stolz, ich konnte endlich laufen, wie meine Schwester!
Ich bin mit 7 in die Schule gekommen, meine Schwester auch.
Es hat übrigens eine Weile gedauert bis meine Mutter den Rektor meiner Grund- und später auch Realschule davon überzeugt hatte, dass ich NICHT geistig beeinträchtigt war und SEHRWOHL auf eine Regelschule gehen konnte.
Als ich dann schlussendlich auf diese Schule gehen durfte, war das alles dann schon ein bisschen schwieriger.
Klar, ich konnte laufen aber es war so anstrengend!
Irgendwas musste wieder zur Unterstützung her.
Mein Gehwagen war zu klein. Mit Ranzen war das alles auch nicht das wahre.
Also musste ein Rollator her.
Eigentlich eine sehr gute Lösung.
Eigentlich…
Denn kaum hatte ich den Schulhof betreten, wurde ich noch mehr angeglotzt als sonst schon und was am schlimmsten damals für mich war, als „alte Oma“ betituliert und lauthals ausgelacht zu werden.
Ich habe mich daraufhin mit Händen und Füßen gewehrt, den Rollator in der Öffentlichkeit wieder zu benutzen – das ist übrigens heute noch so!
Meine Mutter konnte machen was sie wollte.
Diese Zeit war wohl die schwierigste in meinem bisherigen Leben.
Denn Kinder und pubertierende Teenager sind grausam, zumindest untereinander.
Ich muss es so sagen, denn es ist die Wahrheit und ihr habt es verdient sie zu erfahren
Vor allem in dieser Zeit wächst du an der Aufgabe, dich nicht unterkriegen zu lassen.
Wenn du am Anfang nicht gewohnt bist diese Ablehnung zu erfahren, fällst du erst mal in ein tiefes Loch.
Du kämpfst verzweifelt dagegen an und möchtest dazu gehören.
Mit der Zeit kristalisieren sich dann Freundschaften heraus, einerseits die echten ehrlichen Freundschaften und andererseits die Freundschaften, die deine Behinderung nur zu ihrem Vorteil nutzen. Irgendwann lernt man die echten Freunde zu erkennen, aber das dauert, weil am Anfang der unglaubliche Wunsch dazuzugehören alles andere überdeckt.
Es gibt immer wieder Phasen, in denen du das Gefühl hast, du kannst nicht mehr.
Du hast keine Energie mehr, gegen deine Klassenkameraden anzukämpfen
Da ist es dann aber auch kein Wunder, wenn der Wunsch aufkommt, auf eine Schule zu wechseln, die sich auf körperbehinderte spezialisiert hat.
Ich wollte dazu gehören, akzeptiert werden.
Eine nette Dame, sagte dann aber zu meiner Mutter, ich solle dort bleiben wo ich bin, denn auf ihrer Schule wäre ich heillos unterfordert.
Im Nachhinein bin ich glücklich, diesen Weg gegangen zu sein.
Du musst innerlich kämpfen, ja!
Dein Selbstbewusstsein ist ziemlich am Ende, ja!
Aber durch die vielen Therapien und der damit verbundene Kampf mit sich selbst, hat man
schon als kleines Kind gelernt, dass man manchmal die Zähne zusammenbeißen muss um an sein Ziel zu kommen.
Jetzt zahlt sich das aus!
Ich hatte seit der ersten Klasse einen Traum.
Abitur!
Ich wollte es allen zeigen, dass ein Mensch mit Behinderung, mehr kann als alle von ihm erwarten.
Also, wurde ich zur Einzelgängerin, habe mich darauf konzentriert meinen Weg zu gehen und die Vorrausetzungen zu schaffen.
Während meine Schwester auf Geburtstagen eingeladen war und bei Freunden übernachtet hat, bin ich Zuhause geblieben, habe gelesen, gelernt und Musik gehört.
Ja okay, vielleicht habe ich mich verkrochen.
Aber ich bekam das Gefühl nicht los, auf solchen Übernachtungen und Partys fehl am Platz zu sein. Irgendetwas konnte ich immer nicht mitmachen.
Da war es wieder, das Gefühl des Außenseiters!
Das wollte ich mir nicht antun!
Genug der Schwarzmalerei.
Ich habe eine gute Nachricht!
Es wird besser, je älter man wird!
Als ich meinen Realschulabschluss geschafft hatte, begann die bisher schönste und anstrengendste Zeit meines Lebens, was das Lernen betrifft.
Dieses Mal bereicherten die Menschen um mich herum mein Leben.
Das aller erste Mal wurde ich bedingungslos akzeptiert!
Und ich kam meinem Traum vom Abitur immer näher.
Ich war wie beflügelt.
Der Tag, an dem mir gesagt wurde das ICH mein Abitur bestanden hatte, war der bisher schönste meines Lebens.
Ich hatte mir meinen Lebenstraum erfüllt.
Als es offiziell war bin ich weinend vor Glück in den Armen meiner Freundin zusammengebrochen.
Ich bin heute über ein halbes Jahr später immer noch den Tränen nahe als ich das tippe.
Es erfüllt mich mit so unglaublich viel Stolz!
Und nun?
Sitze ich hier.
In Jena.
Am Anfang meines Studiums.
Habe endlich keine Fernbeziehung mehr, und kann nach zwei Jahren Trennung, mein Leben mit dem Mann meines Herzens verbringen.
Mein Fazit?
Es war alles andere als einfach ABER man darf nie aufhören zu träumen und für seine Träume zu kämpfen.
Wir wären alle so verloren, wenn wir keine Träume hätten.
Irgendwann merkst du das du angekommen bist und das sich das kämpfen letztendlich gelohnt hat.