Gerade in dieser Zeit denke ich oft an Kinder und Jugendliche, die aufgrund der Schlulschließungen in der Corona-Krise zuhause sind. Nicht jeder hat das Glück, in einer herzlichen Familie aufzuwachsen oder leben zu können. Ich spreche von Kindern und Jugendlichen, die wenig oder keine Liebe erfahren haben, sondern tagtäglich psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt sind. Sie werden -um nur einige Taten zu nennen- missbraucht, misshandelt, geschlagen, gequält und vernachlässigt. Und dies geschieht überwiegend in der eigenen Familie oder in dessen Umfeld. Von wievielen Betroffenen spreche ich? Von jedem 7. Kind in Deutschland. Und durch den engeren und häufigeren Kontakt aufgrund des Virus hat sich die Gewalt in diesen Tagen in den Familien erheblich erhöht.
Fast täglich hören wir in den Medien von sexuellem Missbrauch. Ich weiß nicht, was in einem Menschen vorgehen muss, der sich an Kindern oder Jugendlichen vergreift. Aber ich weiß, dass die Strafen, wenn die Täter gefasst und verurteilt werden, immer zu gering ausfallen. Und jedes Mal zerreißt es mir das Herz. Jemand, der mehrere Kinder misshandelt und missbraucht, sogar vergewaltigt, bekommt vielleicht 5 Jahre. Und für die Menschen, die mit dem Erlebten umgehen müssen: lebenslänglich.
Als damals der Missbrauchsskandal in der Odenwaldschule damals publik wurde, habe ich einen Bericht eines Opfers in der FAZ gelesen. Er hat es bis heute nicht verkraftet. Und er sprach davon, dass die Hälfte seiner damaligen Klassenkameraden sich zwischenzeitlich das Leben genommen haben. Diese drastischen Auswirkungen, die jährlich steigende Depressions- und Selbstmordrate, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, das müsste uns doch aufhorchen lassen?!
Sexueller Missbrauch hat zweifellos Auswirkungen auf die eigene Sexualität und nicht selten sind es traumatische Erlebnisse, die, wenn sie nicht therapeutisch behandelt werden, die Betroffenen eines Tages einholen werden. Und in manchen Fällen kommen die Opfer ihr ganzes Leben nicht mehr von diesen schrecklichen Erinnerungen los und nicht selten entstehen durch Traumatisierungen Depressionen. Es sind immer mehr jüngere Leute, die bei uns depressiv werden.
Zudem werden meistens die vergessen, die in anderer Form verletzt werden. Eine Verletzung, die nach aussen nicht sichtbar ist: durch Sprache und Handlungen auf psychischer Ebene. Sei es Erpressung, Vernachlässigung, Liebesentzug, Ignoranz, Ablehnung, Aggressivität oder Schreie- diese emotionalen Belastungen und die damit verbundenen seelischen Verletzungen werden oft unterschätzt, dabei ähneln sie in ihrem Ausmaß der körperlichen Gewalt. Es ist mittlerweile bewiesen, dass Mißbrauch, sei es physisch oder psychisch, im Gehirn der Betroffenen einen neurobiologischen Abdruck hinterlässt, der an die nachfolgenden Generationen weitervererbt wird. Die betroffenen Kinder oder Jugendliche sind depressions- und krankheitsanfälliger, leiden unter schwerwiegenden Angstörungen und einem erhöhten Stresslevel, der durch veränderte Hirnfunktionen ausgelöst wird. Die Opfer spüren die Folgen: Sie leiden unter Bindungsängsten oder Angstattacken, wiederkehrenden Albträumen, Entwicklungsstörungen und sogar posttraumatischen Belastungsstörungen. Betroffene können zwar nach außen ein normales Leben führen, aber im Inneren hadern sie mit sich, leiden unter einem sehr geringem Selbstwertgefühl und nicht selten unter Depressionen. Sie stellen sich Fragen, die unbeantwortet bleiben und richten entweder ihren eigenen Schmerz oder ihre Wut auf andere oder sogar massiv gegen sich selbst. Denn sie haben eingeredet bekommen, dass sie selbst dafür verantwortlich und wertlos sind, oder gar eine falsche Wahrnehmung der Dinge haben. Opfer werden erpresst und bedroht, und sie haben Ängste, mit jemandem darüber sprechen, weil sie befürchten, dass ihnen keiner glaubt oder sie dafür in irgendeiner Form bestraft werden. Sie sind Kinder, „Schutzbefohlene“, die ihr Zuhause so als „normal“ einschätzen, weil sie es vielleicht gar nicht anders kennen- und vielleicht auch, weil die Gewalt tagtäglich passiert. Und was besonders schwerwiegend ist: sie verlieren das Urvertrauen zu den Menschen, von denen sie eigentlich geliebt werden müssten.
Vor ein paar Wochen habe ich ein 12 Jahre altes Mädchen, Marie, kennengelernt. Sie erzählte mir ihre Geschichte u.a. mit Essstörungen, Depressionen und psychischer Gewalt seit ihrem 8. Lebensjahr. Mich hat ihre Geschichte tief berührt und nach unserer Begegnung schrieb sie mir einen Brief. Ich zitiere nur drei Sätze daraus: „Selbst wenn wir uns nicht mehr sehen werden, es gibt einen Grund, warum ich Dich nie vergessen werde: Du warst der erste Erwachsene, der wegen mir und meiner Geschichte weinte. Selbst als meine Eltern damals von meinem Suzidversuch erfahren haben, war davon keine Spur zu sehen“.
Ich hoffe sehr, dass ihr und allen anderen Kindern und Jugendlichen geholfen wird, denen Schreckliches, auf körperlicher oder emotionaler Ebene- widerfahren ist. Und wenn die Betroffenen selbst keine Hilfe für sich holen, ich möchte alle Mitmenschen ermutigen, zu handeln, falls es in ihrem Umfeld irgendwelche Anzeichen geben sollte. Bitte ignorieren Sie die Zeichen nicht, Ihre Unterstützung könnte ein Leben retten.
Liebe ist das Wichtigste vor allem anderen und eine liebevolle Kindheit hat jeder Mensch in unserer Welt verdient. Bedingungslos.
Ich wünsche Ihnen eine liebevolle Zeit. Passen Sie gut auf sich auf.
Herzlichst,
Christine-Katharina Krämer
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Ich habe zu diesem Thema einen Poetry-Slam Text geschrieben, welcher ich hier im Anschluß anhänge Danach folgt eine Liste der Anlaufstellen für Hilfesuchende.
Diesen Text widme ich Marie und damit allen Kindern und Jugendlichen, die es gerade sehr schwer in ihrem Leben haben.
1) Heimat
Sie stand, eigens verbannt von daheim, am Wegesrand
verstört zerstört schaut sie auf ihr Elternhaus zurück
Die Angst macht sie bleich, ihre Gesichtszüge nicht wirklich weich
Sie schaut mit Widerwillen auf ihr Kinderreich
Sie ist erwachsen und weiss jetzt erst, was ihr widerfuhr
Sie dachte, das war bei jedem so, und so ist Kindheit eben
„Bist auf dieser Welt nicht um zu nehmen, sondern um zu geben“
Und sie folgte dem, was man ihr befahl
und sie merkte nicht, das man ihr damit ihr ihre Kindheit stahl
Denn für jeden ist es wohl ein Zauberwort,
ein Heim, eine Zuflucht, ein wunderbarer Ort
Aber sie, die kein Zuhause kennt, beschreibt ein wundes Herz
das jeder andere Heimat nennt
2) Die Würde des Kindes ist unantastbar
Viele Familien sind in einem nach aussen, so friedlichen und glücklich hellen Schein
wenn man aber genauer hinschaut, will eigentlich keiner mehr ein Kind dieser Familie sein
Kinder und Jugendliche sind verstört, ihr Selbstwert sinkt stetig und manche merken, dass sie das alles nicht mehr bewältigen können
und versuchen dann vor ihren Mitmenschen und manche sogar vor ihrem eigenen Leben wegzurennen
Denn Kinder sind die, die sich Vorwürfe machen, und sich immer mehr aufgeben
weil die Eltern sich in Horrorbeziehungen feine Netze weben
Muttersprache, Vatersprache? Was ist das, was ein manches Kind lernt?
Diese Sprache, die Worte, die ich meine, sind auf jeden Fall von Liebe weit entfernt
Beschimpfungen und Erniedrigungen sind das, was des Elterns Münder verlässt
Es sind die Worte, die- wie Schläge- eine grosse Wunde auf kleinen Seelen hinterläßt
Dann frage ich mich: Man muss doch im ganzen Leben Prüfungen bestehen
warum lässt man Kinder in kalte Elternhäuser gehen?
Man sagt doch immer „Dem besten Wohle dem Kinde bedacht“
Ich wäre dafür, wenn man vorm Kinderkriegen einen Elternführerschein macht
Und ein jeder, absolut jeder, der sich an einem jungen Menschen vergreift,
gehört lebenslang hinter Gittern, damit der Täter begreift,
dass durch seine Tat eine Seele sich schwer – oder sogar niemals mehr- davon erholen kann
Wir müssen helfen, diesem Leid ein Ende zu setzen, dem Albtraum einen Schluss
Und aufklären, was in solch einem Fall getan werden muss
Und wenn Eltern merken, dass sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen, es sich einzugestehen, dass sie gescheitert sind in ihrem Elternleben
und ihr Kind zu Adoption oder zu Pflegeeltern – wie die von René und Kevin- frei zu geben
Kinder verstehen z.B. Schreien als grosse Einschüchterung und Macht, doch nur der Schreiende hat Angst, es könnte ihn sonst keiner hören
doch dies ist Ohnmacht nur, um andere stumm zu machen und zu verstören
Warum tut man das Kindern an? Es hat doch sonst niemanden, dem es vertraut!
so wird Fundament -von dem doch so wichtigen Elternhaus- auf losem Sand gebaut
Was man ihren Körpern und Seelen antut ist, dass man sie nicht nur ihrer Unschuld, sondern ihrem Recht auf eine liebevolle Kindheit beraubt
Und es ist auch noch das Schlimme, dass sie trotz allem befürchten müssen, dass ihnen keiner glaubt
Diese jungen Menschen merken – manche erst wenn sie erwachsen sind- welche Last sie wirklich tragen
Und müssen damit leben, mit den vielen, nicht beantworteten Fragen
Sie fühlen sich niemals frei, haben Angst, sich jemandem anzuvertrauen
Und geben sich selbst die Schuld, und können nur noch mit Angst in ihre Zukunft schauen
Sie fühlen sich, als ob man in ein Meer voller Haie geworfen und nur noch hofft, dass Zeit alle Wunden heilt
Nur das tut sie nicht, denn es ist die Verletzung, die in ihrem Inneren hartnäckig verweilt
Eltern haben einen Auftrag, ihrem Kind eine liebevolle Kindheit zu reichen
Und nicht mit ihren grausamen Worten und Taten ihrem eigenen Abgrund auszuweichen
Ich wünsche denen, die gerade einer schwierigen Zeit ins Auge sehen
die Kraft, und den Mut, den verlorenen Glauben an sich wiederzugeben
und um sich denen zu widersetzen, die ihnen Leid zufügen
und zur Not ihnen den Rücken zu kehren und sich zu wehren,
denn wirklich niemand, darf über das Leben eines anderen verfügen
Jedes Kind soll ein Recht auf ein gesundes Elternhaus haben, in dem es bedingungslos Liebe, Respekt und Schutz erhält
Kinder … sie sind ein kleiner Prozentteil von uns, aber 100 % unserer Zukunft dieser Welt
Hilfe bei psychischen Problemen und belastenden Lebenssituationen
Eine Auswahl wichtiger Anlaufstellen
0800-777 22 44 (BDP-Corona-Hotline) Täglich 8-20
0800-111 0 111 und 0800-111 0 222 (Telefonseelsorge) – rund um die Uhr
0228-71002424 SeeleFon des BapKs- Sprechzeiten Mo-Fr. 10-20 / Sa. 14-16
0800-2255530 Hilfetelefon Sexueller Missbrauch- Sprechzeiten: Mo, Mi, Fr 9-14 / Di & Do 15-20
0800-1110333 – „Nummer gegen Kummer“, kostenloses telefonisches Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche Mo-Sa 14-20
0800-1110550 – „Nummer gegen Kummer“, kostenloses telefonisches Beratungsangebot für Eltern
Auch online: www.nummergegenkummer.de
0800 – 0116016 – Gewalt gegen Frauen – rund um die Uhr- Beratung in 17 Sprachen.
Auch online: www.hilfetelefon.de
0800-2255530 – Telefonische Anlaufstelle des unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
116 006 – Opfer Telefon Weisser Ring – Beratung für Opfer von Straftaten. Täglich 7-22 auch online: www.weisser-ring.de
Internetseiten
https://www.wildwasser.de/ – Hilfestelle für Opfer sexuellen Missbrauchs im Rhein-Main Gebiet
Jugendnotmail: www.jugendnotmail.com – Einzel-Online-Beratung. Themenchat und Forum für Kinder und Jugendliche
U25 #DUBISTMIRWICHTIG – u25.de (Online-Suizidprävention der Caritas per email für junge Menschen)
www.beauftragter-missbrauch.de
Internetseite des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs mit Fachbeiträgen, Informationen für Betroffene, Literaturempfehlungen und Links
www.dji.de/izkk
Internetseite des Informationszentrums Kindesmisshandlung/Kindesvernachlässigung (IzKK) am Deutschen Jugendinstitut e. V. München
www.jugendschutz.de – Gemeinsame Internetseite der Jugendschutzstellen auf Landes- und Bundesebene mit Informationen und Unterstützungsangeboten
Quellen:
www.bmfsfj.de / hilfe.dasklemmbrett.de